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Wie Netwon mit den Geistern tanzen: die Naturforschung in den Arbeiten von Eva Zenetti

 

Die drei Serien „Gewächse“, „Sammlungen“ und „Wo, nur wo?“ bilden eine wesentliche Werkgruppe in Eva Zenettis Arbeit. Die „Gewächse“ sind aus Fundholz geformte Fragmente zumeist menschlicher Skelette. Die „Sammlungen“ zeigen fremdartige Mutationen aus dem Insektenreich, die aus getrockneten Blättern und Gräsern hergestellt werden. In „Wo, nur wo?“ hat die Künstlerin eine narrativ vertiefte Form der naturkundlichen Graphik entwickelt. (Ausnehmen muss man hier die formal verwandte Serie der Fossile, weil diese eher dem Genre einer poetischen Science Fiction angehören, die die gegenwärtige technische Kultur als eine längst untergegangene thematisiert.) Die auffälligste Gemeinsamkeit dieser Arbeiten besteht darin, dass sie alle verschiedene historische Darstellungsformen der neuzeitlichen Naturkunde zitieren. So könnte man etwa Verbindungslinien zu den Studienblättern Maria Sibylla Merians ziehen, oder den zoologischen und botanischen Sammlungen, die auf den großen Forschungsreisen der Europäer angelegt wurden. In Ausstellungen werden die drei Serien immer wieder zu Raumgreifenden Installationen zusammengeführt, die das Bild eines naturgeschichtlichen Archivs evozieren.

Inhaltlich stehen diese Arbeiten in einem spannungsvollen Verhältnis zu der in den westlichen Kulturen heute dominanten Weise, die Natur zu beschreiben sowie zur Geschichtsschreibung der Naturwissenschaft.

In den Darstellungen der Geschichte der Naturwissenschaft trifft man immer wieder auf ein Bild von suggestiver Einfachheit und Logik: Im Laufe der Neuzeit habe sich der abendländische Blick auf die Natur mehr oder weniger stringent und zielgerichtet entwickelt, bis das gegenwärtige Paradigma der Naturforschung voll entfaltet war. Diese Bewegung setze im späten Mittelalter mit ersten Ansätzen von Quantifizierung und Empirie ein und kulminiere in Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematicae die den gesamten Kosmos als einheitlichen geometrischen Raum beschreibt - vollständig bestimmt durch funktionale Relationen zwischen wenigen quantitativen Grundgrößen, die überall demselben Minimum mathematischer Gesetze genügen. Mit der biochemischen Perspektive auf das Leben übertrage sich diese Perspektive im 20. Jahrhundert auch vollständig auf die Biowissenschaften. Geschildert wird hier eine zunehmende Bereinigung der Welt: Die Dinge verlieren alles Seelenhafte. Alle real wirksamen Bedeutungen der Dinge und alle ihre nicht-räumlichen und nicht-kausalen Beziehungen zu anderen Dingen verschwinden. Das Chaotische, und vor allem all das, was sich jedem menschlichen Verstehen prinzipiell entzieht, wird durch Ordnung ersetzt. Als Sonderfunktion wird die reale Poesie der Welt in dem neu gegründeten Bezirk der menschlichen Psyche domestiziert.

Dieses Bild der Entwicklung der neuzeitlichen Naturbetrachtung ist natürlich viel zu steril um wahr zu sein. Es blendet die Kontingenz aus, die jeder kulturellen Dynamik innewohnt, und übersieht die in der Realität verschlungenen Wege, die genommen wurden, um den heutigen Zustand zu erreichen. Dabei verschweigt es vor allem die komplexe und ambivalente Haltung, die viele unsterblichen Heroen der Wissenschaft in Anbetracht der Natur eingenommen hatten. So verstand sogar Newton sich nicht nur als mathematisch-empirisch vorgehender Naturforscher, sondern arbeitete im Geheimen auch intensiv als Alchemist. Auch sein elegantes System der Himmelsmechanik ist keineswegs frei von vormodernen Denkfiguren. So ist Newtons Konzept einer Fernwirkung zwischen Massen eine direkte Umsetzung der okkulten „Sympathien“ bzw. „Antipathien“ der hermetischen Naturphilosophie.

Und so könnte man die vorliegende Werkgruppe Eva Zenettis als Vorschlag begreifen, einen vollständigeren Blick auf die Geschichte der Naturwissenschaft zu werfen, der über das Vielschichtige, Nuancenreiche, Widersprüchliche und Kontingente aller kulturellen Entwicklung Bescheid weiß, und so deren allzu abstrakte Systematisierung hinterfragt. An die Stelle einer Apologie der szientistischen Weltbeherrschung, die diese als Ergebnis notwendigen Fortschritts beschreibt, träte eine soziologisch und diskursanalytisch informierte Perspektive.

Darüber hinaus könnte der Versuch lohnen, die Plastiken der naturkundlichen Werkgruppe auch wesentlich weitgehender zu interpretieren. So könnte man die Arbeiten als Versuch ansehen, einen mehrdimensionalen Blick auf die Natur zu vertreten, in dem die Naturwissenschaft nur eine von mehreren gleichberechtigten Perspektiven darstellt. Dies wäre nicht so zu verstehen, dass hier einzelne tradierte Sichtweisen der Magie, des Geisterglaubens usw. als alternative Wahrheiten behauptet werden, oder das krude Wunschdenken der aktuellen Esoterik vertreten wird. Ein mehrdimensionaler Blick auf die Natur würde zunächst die Feststellung beinhalten, dass naturwissenschaftliche Theorien über ihre sagenhafte Nützlichkeit hinaus kein erkenntnistheoretisches Privileg besitzen. Darüber hinaus wäre wohl die Frage zu stellen, ob die saubere Gliederung der Welt in Sphären sich ausschließender Eigenschaften – subjektiv mentales hier, objektiv reales dort – wirklich unantastbar ist, und ob es nicht doch zumindest widerspruchsfrei denkbar ist, dem was man unbestreitbar erfährt, wenn man mit der Natur in Kontakt kommt, eine Art von objektiver Realität zuzuschreiben.

 

 

 

 

 

 

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